VERANSTALTUNGEN DER REIHE
PERSONEN  PROJEKTE  PERSPEKTIVEN
Juli 2001 - Juni 2002
 

                 DAS REALE, DIE DISKURSE, DIE KUNST
 
Harun Farocki
Worte zwischen den Worten
Bilder zwischen den Bildern

Film- und Gesprächsabend der XX. Veranstaltung der Reihe  Personen  Projekte  Perspektiven 
Freitag, den 7.Juni 2002 um 20 Uhr 
Atelierhaus - Alte Schule -  Äbtissinsteig 6, Essen - Steele 
 

Worte zwischen den Worten / Bilder zwischen den Bildern

Die Arbeit des Filmmachers Harun Farocki, der seit 1967 zahlreiche Filme produzierte, zeichnet sich aus durch  ein Sichtbarmachen verborgener soziokultureller Phänomene und Sinn-Zusammenhänge, die unserer alltäglichen Wahrnehmung so nicht (ohne weiteres) zugänglich sind. Dies geschieht durch  "Montage, gezielte Komposition und  Neuordnung" von filmischem (und fotografischem) Material, bei dem es sich häufig um vorgefundene Bilder handelt: also um "Bildmaterial", das z.B. gezielten Recherchen "in den Archiven verschiedenster Orte der Bildproduktion " entstammt. 
Wie auch bei anderen Konstrukteuren auf dem Gebiet des Films, die sich der Montage bedienen, ist die Intention eine Analytische, Kritische: es geht darum, "entfernte Dinge zusammenzubringen". Dank der Montage "durchbricht" Farocki "Schichten der Gewöhnung an Gesehenes, ... Stereotypen". 

"Man muß gegen Bilder ebenso mißtrauisch sein wie gegen Wörter. Man muß die Praxis eines Bildes untersuchen. Mit welcher Bedeutung und in welcher Kette von Bedeutungen erscheint es? Es gibt keine Literatur oder Sprachkritik, ohne daß der Autor der vorhandenen Sprache gegenüber kritisch ist. Ebenso verhält es sich mit Filmen. Man muß keine neuen, nie gesehenen Bilder suchen, aber man muß die vorhandenen Bilder in einer Weise bearbeiten, daß sie neu werden . Mein Weg ist es, nach verschüttetem Sinn zu suchen und den Schutt, der auf den Bildern liegt, wegzuräumen." 
(Harun Farocki) 

Die filmische Arbeit Farockis besteht nicht zuletzt in der "Auseinandersetzung mit der Frage, was das Bild eigentlich ist und sein kann, inwiefern seine Bedeutung eine konstruierte und damit historische ist, auf welche Weise sich die Programme der Bildherstellung und – rezeption gegenseitig beeinflussen und wie wenig wir von all dem wahrnehmen, was in Wirklichkeit zu sehen ist": eben darin liegt wohl auch zu einem großen Teil "die fundamentale Bedeutung", die seine dokumentarischen Filmessays "auch für die bildende Kunst eingenommen" haben.
(Zitate: S.Gaensheimer/N.Schafhausen; Jörg Becker) 

Wie interessant Farockis konsequenter Umgang mit Bild und Ton/ Bild und Text 
gerade auch für die Kunst ist, belegen seine Ausstellungen/Installationen/Film- vorführungen im Kontext der Documenta X, des MOMA New York, des Centre Pompidou ... . 

Harun Farocki zeigt seine neuesten Filme 'Ich glaubte Gefangene zu sehen' sowie  'Auge/Maschine' im Rahmen des Projekts "Das Reale/Die Diskurse/Die Kunst: Über Normalismus und Dissidenz", dem aktuellen Veranstaltungsblock der Reihe Personen Projekte Perspektiven. 
 
 

AUGE / MASCHINE

Deutschland 2001
Video-Essay von Harun Farocki
Länge: 23 Minuten
Redaktion: Inge Classen (3sat)
 
 

Im Zentrum des Films stehen die Bilder des Golfkriegs, die 1991 weltweit Aufsehen erregten. In den Aufnahmen von Projektilen im Zielanflug waren Bomben und Berichterstatter identisch, so eine These des Philosophen Klaus Theweleit. Gleichzeitig waren die fotografierten und die (computer-)simulierten Bilder nicht unterscheidbar. Mit dem Verlust des "authentischen Bildes" wurde auch die historische Zeugenschaft des Auges aufgehoben. Es heißt, im Golfkrieg seien nicht neue Waffen zum Einsatz gekommen, sondern eine neue Bilderpolitik. Hier seien die Grundlagen einer elektronischen Kriegsführung geschaffen worden. Wichtiger als Durchschlagskraft und Kilotonnage ist heute der sogenannte C31-Zyklus, der unsere Welt mittlerweile umspannt. C31 heißt: Command, Control, Communications and Intelligence – und meint globale und taktische Frühwarnsysteme, Geländeüberwachung mit seismischen, akustischen und Radar-Sensoren, Funkpeilung und Abhören gegnerischer Nachrichten sowie das Unterdrücken all dieser Mittel durch Störsender.

Harun Farocki geht der Frage nach, wie militärische Bildtechnologien Eingang finden in das zivile Leben. Viele Firmen in den USA, die zu C31 beigetragen haben, versuchen heute, nicht-militärische Produkte in den Bereichen Eigentumsschutz und Produktionskontrolle abzusetzen. Die Videoüberwachung in Kaufhäusern dient nicht allein der Aufdeckung von Straftaten. Es gilt, das Verhalten des Käufers aufzuklären, zu kontrollieren – und somit zu beherrschen.

'Auge/Maschine' entstand in Zusammenarbeit mit dem Zentrum für Kunst und Medientechnologie (ZKM), Karlsruhe, und ist dort als Videoinstallation zu sehen. Das Projekt knüpft an die jüngste ZDF/3sat-Produktion  'Gefängnisbilder'  von Harun Farocki an und führt zugleich einen Zyklus von Filmen fort, den der Autor 1995 mit der WDR/3sat-Produktion 'Arbeiter verlassen die Fabrik' (nach dem gleichnamigen ersten Film der Filmgeschichte) begonnen hat: essayistische Untersuchungen zu einem kinematografischen und medialen "Bilderschatz" (ein Begriff analog zu "Wortschatz"), Bausteine zu einem "Dictionary der filmischen Ausdrücke". Erforschte Farocki in 'Gefängnisbilder'  einen Topos des Genre-Kinos einerseits, moderne Gefängnistechnologie andererseits, so setzt er mit  'Auge/Maschine'  seine Überlegungen zu Überwachung und Kontrolle, die unser gesamtes soziales Leben betreffen, fort.
 
 
Werner Ruzicka
Duisburger Dramaturgien – Duisburger Diskurse 
Über das deutschsprachige Dokumentarfilm-Festival

XIX. Veranstaltung der Veranstaltungsreihe  PERSONEN  PROJEKTE  PERSPEKTIVEN:
Freitag, 12. April 2002, 20 Uhr
Atelierhaus – Alte Schule –Äbtissinsteig 6, Essen-Steele
 

Duisburger Dramaturgien – Duisburger Diskurse

Wie Wirklichkeit erzählen ?  Daß Dokumentarfilme Wirklichkeit nicht wirklich abbilden, ist bekannt. Daß man den Bildern im Fernsehen nicht (mehr?) 'glauben' darf, ist Allgemeinplatz. Trotzdem besteht weiterhin ein großer Bedarf an 'wahren' Bildern, 'wahren' Geschichten – siehe den Erfolg der Doku-Soaps, siehe die Bildersucht im Umfeld des 11. September.  Wie ist dieser Widerspruch zu erklären? 

Die Duisburger Filmwoche als das Festival des deutschsprachigen Dokumentar- 
films müht sich seit Jahren darum, solchen Fragen anhand von Filmen und Debatten nachzugehen. Im Atelierhaus – Alte Schule –, dem 'Salon des 21. Jahrhunderts', soll nun ein kleines Resume der Duisburger Dramaturgien und Diskurse angeboten werden, mit Thesen, Filmbeispielen – und hoffentlich viel Wechselrede: auch im Blick auf Querbezüge zwischen dem Dokumentarfilm und dem experimentellen Film wie überhaupt allen Spielarten des Films, die diesen als Kunstform verstehen. 
 

Werner Ruzicka, geboren 1947. Studium der Germanistik, der Philosophie und der Sozialwissenschaften an der Ruhr-Universität Bochum. Ab 1974 Leiter der Kommunalen Filmarbeit in Bochum.   1978 bis 1982  Mitarbeit am dokumentarischen Langzeit-Projekt  'Prosper/Ebel – Eine Zeche und ihre Siedlung' als Regisseur und Produktionsleiter. Nach 1982 verschiedene  Arbeiten für Fernsehen und Theater. Seit 1985 Leiter der Duisburger Filmwoche, des Festivals des deutschsprachigen Dokumentarfilms. Tätigkeit als Jurymitglied z.B. der Internationalen Kurzfilmtage Oberhausen, der Österreichischen Filmtage Wels und des Adolf-Grimme-Preises. Mitglied des Beirates der Internationalen Kurzfilmtage Oberhausen. Lehraufträge für Dokumentarfilm, u.a. an der Hochschule für Fernsehen und Film in München, sowie Goethe-Institut-Seminare über Dokumentarfilm u.a. in China, Israel, Spanien und Indien. 

Bitte vormerken: am Freitag, den 7.Juni 2002 um 20 Uhr 
wird  Harun Farocki  hier zu Gast sein. 
 
 
 
 
Jürgen Link
"Ganz normaler Wahnsinn"?
Über  den Anteil des Normalismus an der Postmoderne

XVIII. Veranstaltung der Reihe  Personen  Projekte  Perspektiven 
Freitag, den 1. März 2002 um 20 Uhr 
Atelierhaus - Alte Schule - Äbtissinsteig 6, Essen-Steele 
 

„Ganz normaler Wahnsinn?“ Über den Anteil des Normalismus an der Postmoderne

Lohnt es sich, ernsthaft über den Begriff der „Normalität“ nachzudenken? Handelt es sich überhaupt um einen Begriff und nicht vielmehr um eine bloße Sprechblase? Was hat Franziska von Almsicks Versicherung „Ich ticke ganz normal“ mit einem Klamaukfilm wie „Voll normaal“ oder mit dem „Hineinwachsen Deutschlands in die Normalität der Weltpolitik“ durch die militärische Führung in Kabul (FAZ) zu tun? Und wieso ist das alles „der ganz normale Wahnsinn“? Trotz und wegen all solcher verbaler Schaumschlägerei wird J.L. seine These begründen, daß sich „Normalitäten“ sehr wohl begrifflich bestimmen lassen und daß es sich bei ihnen sogar um Basiskategorien westlicher Kulturen seit etwa 1800 handelt. Keine „moderne Industriegesellschaft“ ohne „Normalismus“, d.h. ohne Diskurse, Instanzen und Institutionen, die die Gesellschaft „verdaten“, also statistisch bis möglichst zum letzten transparent machen und auf dieser Basis dann „normale Spektren“ durch die Festlegung von „Normalitätsgrenzen“ gegen das „Anormale“ abgrenzen. 

Unter den verschiedenen historischen Spielarten des Normalismus ist der neueste, „flexible Normalismus“ besonders interessant, weil er mit den vage als „postmodern“ bezeichneten Phänomenen strukturell solidarisch erscheint. Im flexiblen Normalismus werden die Normalitätsgrenzen ambivalent: eigentlich zur Abschreckung gedacht, üben sie eine geheime Attraktion aus und versprechen „thrill“ bei ihrer Überschreitung. In den Antizipationen von Film, Fernsehen und Literatur zeichnet sich ein „posthistorischer“, ahistorischer Lebenstyp ab, dessen Kurve ein endloses Surfen diesseits und jenseits der Normalitätsgrenze(n) bildet: „Das Ewig-Anormale zieht uns hinan“ – und bedroht uns ewig mit „Absturz“. Ist also der Normalismus als geheime Prämisse der Postmoderne (wie sie sich nicht nur in bestimmten, gängigen Formen des Films, der Literatur, sondern ebenso der Architektur und vermutlich auch der bildenden Kunst offenbart) das letzte Wort, das eigentliche „Ende der Geschichte“, das als „definitives Provisorium“ an die Stelle aller „konkreten Utopien“ getreten ist? Steckt diese Botschaft hinter der Floskel vom „ganz normalen Wahnsinn“? Oder eher die Angst, daß der Normalismus seinerseits ohne solide Basis auskommen müßte? 

Jürgen Link, geb. 1940, Professor für Literaturwissenschaft (und Diskurstheorie) an der Universität Dortmund. Forschungsschwerpunkte: struktural-funktionale Interdiskurstheorie; Kollektivsymbolik, Normalismustheorie; literarhistorisch: Lyrik; Hölderlin und die ‚andere Klassik‘; Brecht und die ‚klassische Moderne‘. Einige Publikationen: Literaturwissenschaftliche Grundbegriffe, München (Fink) 1983; (mit W. Wülfing Hrsg.) Nationale Mythen und Symbole, Stuttgart (Klett-Cotta) 1991; Versuch über den Normalismus, Opladen (Westdeutscher Verlag) 1996, 2. Auflage 1999; Hölderlin-Rousseau: Inventive Rückkehr, Opladen (Westdeutscher Verlag) 1999. (Mitherausgeber): kultuRRevolution. Zeitschrift für angewandte diskurstheorie, Essen (Klartext) 1982ff.; Mitbegründer der Diskurswerkstatt Bochum (1980ff.). 
 
 

                          "IMAGINATION UND KUNST" 
 
Jürgen Frese
Begleitprozeß Kunst: Kommentar oder Katastrophe

XVII. Veranstaltung der Reihe  Personen  Projekte  Perspektiven 
Freitag, den 14. Dezember 2001 um 20 Uhr 
Atelierhaus - Alte Schule - Äbtissinsteig 6, Essen-Steele 
 

Prof. Dr. Jürgen Frese
Begleitprozeß Kunst: Kommentar oder Katastrophe 
Thesen 

( 1 ) Kunst (ganz gleich ob Konzert, Theater, Film, bildende Kunst oder Performance) geschieht in öffentlichen Räumen und in 'rhetorischen' Situationen. 
( 2 ) Kunst-Werke oder -Prozesse lassen vor einem Publikum etwas sehen, hören 
oder spüren, das vorher so noch nicht erfahren werden konnte. Kunst erweitert 
Erfahrungsmöglichkeiten. 
( 3 ) Erinnerungen an Kunstprozesse begleiten einige alltägliche Prozesse – sowohl öffentlich als auch in der privaten Phantasie. Beide  – Kunst und Alltag – berühren sich in einem gemeinsamen kulturellen Raum. In den Bildern unserer Phantasien und Träume fließen triviale Erinnerungen mit den Angeboten der Kunst zusammen. 
( 4 ) Manche Kunst vermittelt Mythen, die alltägliche Situationen mit Überschriften ausstatten, als mehr oder weniger dramatische Spiele inszenieren, zumindest aber gliedern und mit Sinn anreichern. Manchmal verwenden wir daher Kunst-Stücke (z.B. Figuren und Sequenzen aus Romanen oder Filmen), um uns im Alltagsleben zurechtzufinden, tagträumend zu trösten, zu verteidigen – oder um uns mit schönen Illusionen über uns selbst zu täuschen. Why not? Cervantes Don Quijote  und Flaubert’s  Frédéric sind Gestalten, 'die das Leben als einen Roman erleben, weil sie die Wirklichkeit nicht ernst nehmen können.' (Bourdieu, Regeln der Kunst). 
( 5 ) In der Begleitung des Alltags durch Kunst kann vielerlei passieren: 
alltägliche Gewohnheiten können 
– durch Werke, die wie ästhetische Kommentare zum trivialen Text genommen werden, bestätigt, überhöht und verklärt werden oder 
– durch überraschende Inszenierungen in Katastrophen gestürzt werden. 

Steckbrief  Jürgen Frese  geboren Dortmund 1939, promoviert in Soziologie Münster 1966, habilitiert für Philosophie Bochum 1975, lehrt Philosophie in Bielefeld. Arbeitsfeld: historische Phänomenologie leib- und bildgebundener kultureller Prozesse. Bezugsautoren: Spinoza, Hamann, Peirce, Whitehead, Heidegger, Langer, Arendt, Blumenberg, Deleuze, Luhmann, Schmitz. Themen von Veröffentlichungen: Dialektik, Phänomenologie, Gefühls-Partituren, Prozesse im Handlungsfeld, Sprechen als Metapher für Handeln, Politisches Sprechen, Dialektik der Gruppe, Intellektuellen-Assoziationen, Theoriebildung als Gruppenprozeß, Ideologie, Postmoderne, Abschied vom Äther 'Gesellschaft'. 
 
 
 
 
Birgit Käufer
Puppe – Fotografie – Geschlecht
Anagramm ad infinitum

XVI. Veranstaltung der Reihe  Personen  Projekte  Perspektiven 
Freitag, den 5.Oktober 2001 um 20 Uhr 
Atelierhaus - Alte Schule - Äbtissinsteig 6, Essen-Steele 
 

Puppe – Fotografie – Geschlecht
Anagramm ad infinitum

Kunstfigur oder Wesen aus Fleisch und Blut? Tot oder lebendig? Männliches oder weibliches Geschöpf? Bereits die Puppe kann unsere Wahrnehmung irritieren. Doch mit der Fotografie des künstlichen Wesens potenziert sich die Verunsicherung: Das Verhältnis zwischen Wirklichkeit und Fiktion oder zwischen den Geschlechtern wird zum Anagramm – zum Spiel einer permanenten Umkehrbarkeit ad infinitum. 
Hans Bellmer, Pierre Molinier und Cindy Sherman nutzen dieses Potential des fotografischen  Puppenporträts. Über die Zeitspanne der 30er, 60er und die 90er Jahre hinweg bleiben die „Spiele der Puppe“ nach wie vor aktuell, verändern jedoch ihre Akzente. 
Um die Obsession der selbstgebauten Puppen kreist das gesamte Werk Hans Bellmers. Sie dienen ihm als vielfach variable Fotomodelle. Während die Fotoserie der ersten Puppe den stetigen Wandel von Montage und Demontage demonstriert, präsentiert sich das zweite Puppenmodell als bildgewordenes Anagramm: am zentralen Bauchkugelgelenk stehen sich die beiden Schöße der Puppe spiegelsymmetrisch gegenüber. Die Anatomie wird zum Auslöser unendlicher Bedeutungsproduktion. 
Für Pierre Molinier wird die Puppe zum unverzichtbaren Objekt seiner Darstellungen des „Selbst“. Puppe und Künstler stehen sich nicht länger als Schöpfer und künstliches Modell gegenüber, sondern die Körpergrenzen verschmelzen im fotographischen Bild. In seinem Status als Künstlerpuppe ist er immer Natur- und Kunstfigur im selben Moment. Mit seinem Körperbild, das männliche wie weibliche Geschlechtszeichen vereint, wird auch diese Grenze zur Disposition gestellt. 
Seit ihren Sexpictures stellt auch Cindy Sherman nur noch künstliche Körper zur Schau. Im Gegensatz zu ihren Vorgängern betont sie einen kritischen Unterton: Puppenfragmente und medizinische Prothesen werden zu Protagonisten skurriler Inszenierungen aus dem Horrorgenre und entblößen die Konstruktion von Natur. 

                                                                                    Birgit Käufer 

Birgit Käufer lebt als Kunsthistorikerin in Köln 
 
 
 
Die lange Nacht der Poetinnen und Poeten

XV. Veranstaltung der Reihe  Personen  Projekte  Perspektiven 
am Freitag, den 21. September 2001 um 20 Uhr
Atelierhaus - Alte Schule - Äbtissinsteig 6, Essen-Steele
 

Es lesen aus ihrem Werk

Urs Jaeggi (Berlin)      Angelika Janz (Aschersleben)         Ina Kurz (Hamburg) 
No Limit                          Schräge Intention                                  WEISSER 
                                                                                                     NEGER

D.E. Sattler (Bremen)    Matthias Schamp (Bochum)  Christina Schlegel (Essen)
der satz des pythagoras     Vorwärts,                                      Hinausgehen. 
                                         marsch,  ihr  Mutagene!                 Nicht hinaus gehen 

Andreas Weiland (Aachen)
Die tage, das zeitalter 
 
 
 
Desublimation. 
Text  und  Bild  bei  Unica  Zürn
Dia-Vortrag von Dr. Rike Felka

XIV. Veranstaltung der Reihe  Personen  Projekte  Perspektiven 
am Freitag, den 7. September 2001 um 20 Uhr
Atelierhaus - Alte Schule - Äbtissinsteig 6, Essen-Steele
 

 "Ich werde heimgesucht, als wäre ich 
 für etwas Unbekanntes die einzige Heimat." 
 Unica Zürn

Desublimation.  Text  und  Bild  bei  Unica  Zürn
Dia-Vortrag von Dr. Rike Felka

"Nach dreiundvierzig Lebensjahren ist mein Leben noch nicht 'mein' Leben geworden." Diesen Satz schreibt Unica Zürn 1959. Sie berichtet über sich wie über eine andere, ihr rätselhafte, namenlose Frau – selten in der 'Ich-Form', fast immer in der dritten Person. Sie hat nie versucht, ihre Fremdheit, ihre Singularität, ihre Distanz zu sich und ihrem Leben zu vertuschen. Ihr Stil situiert uns im Inneren einer Kamera, mit der sie ihre Handlungen aufzeichnet. Jedes Bild kann einzeln betrachtet werden. 

Dr. Rike Felka, geb. 1960, Literaturwissenschaftlerin, lebt und arbeitet in Berlin. Lehrtätigkeit im In- und Ausland, zuletzt in Santa Barbara und in Weimar. Übersetzungen. Habilitation 2000. Veröffentlichungen u.a.: Psychische Schrift. 
Freud-Derrida-Celan, Wien, Berlin 1991; Das geschriebene Bild. Über Gertrud Leutenegger, Wien 1996; India-Song-Komplex. Zu Marguerite Duras, Berlin 1996; Vorläufig Beiseitegelegtes. Vier Studien zu Texten aus dem Nachlaß von Gertrude Stein, Unica Zürn, Marguerite Duras und Walter Benjamin, Berlin 2000 
 

Filmprojekt von Rainer Werner Fassbinder

1982 notierte R.W.F., auf einen Briefbogen des Gramercy Park Hotel
in New York : " 1. Unsere Wirklichkeit  2. Die Wirklichkeit der Überlebenden
3. Die Wirklichkeit der Unica Zürn  4. Die geheimnisvolle Welt im Kopf
der Unica Zürn  5. Die inszenierten Krankenhausaufenthalte in Gegen-
überstellung mit einer „gesunden“ Krankenschwester 6. Die Welt des
Kindes und seine Träume 7. Literatur machen sehen.“

Es sind Notizen zum Filmprojekt  " Der Mann im Jasmin ".
(Rainer Werner Fassbinder. Werkschau. Berlin 1992. S. 250)
Hanna Schygulla sollte die Zürn spielen.

Das Projekt wurde nicht realisiert; Fassbinder stirbt am 10.6.1982.
 
 

Die nächsten Veranstaltungstermine:
Freitag, 21. September 2001   Die lange Nacht der Poetinnen und Poeten 
Freitag, 5. Oktober 2001  Birgit Käufer (Köln)  Puppe – Fotografie – Geschlecht  Anagramm ad infinitum (Hans Bellmer, Pierre Molinier und Cindy Sherman) 
 
 
 
 
Les jeux à deux
Die Spiele zu zweit
Ein Film von Friederike Beck

XIII. Veranstaltung der Reihe  Personen  Projekte  Perspektiven
am Freitag, den 10.August 2001, 20 Uhr 
Atelierhaus - Alte Schule - Äbtissinsteig 6, Essen-Steele 
 

Les jeux à deux/Die Spiele zu zweit

An diesem II. Veranstaltungsabend zum Thema Kunst+Imagination wird die Autorin und Regisseurin Friederike Beck zu Gast sein. Sie zeigt ihren Film Les jeux à deux – Die Spiele zu zweit über das Leben und Werk der Schriftstellerin, Dichterin und Künstlerin Unica Zürn. 

In semidokumentarischer Weise zeigt dieser Film in Interviews mit Zeitzeugen und Spielfilmszenen, deren Dialoge auf Originaltexten von Zürn und Bellmer basieren, auch dieses auf 17 Jahre gemeinsame Leben im Paris der 50iger/60iger Jahre. Deutlich wird so auch der Kontext: es ist der Surrealismus in seinen Auswirkungen auf das Kunst- und Lebensprojekt von Unica Zürn. 

Rainer Werner Fassbinder stellt Zürns Namen an den Schluß seines Films Despair – Reise ins Licht  neben den von Artaud. Der Augenblick eines Durchbruchs, der die geschlossene Welt der Verdoppelungen (so wie es das Kino nun einmal auch ist) öffnen könnte. Friedrike Becks Film ist auch ein solcher Versuch, Verdoppelungen zu beleuchten, wie die der gegenseitigen Spiegelung zweier Künstlerexistenzen in der unwiderruflichen Verschränkung von Kunst und Leben. Das Schreiben/Das Zeichnen: zwei Praktiken, zwei Medien der Niederschrift einer Geschichte der Verstrickungen bei Unica Zürn. Was ist Wirklichkeit, was Imagination, amalgamiert letztere erstere oder umgekehrt? Les jeux à deux, der von Unica Zürn  für eine ihrer Erzählungen gewählte Titel bezieht sich doppelsinnig sowohl auf ihre Beziehung zu Henri Michaux und Bellmer, wie auf das Projekt der anagrammatischen Arbeit, das sie mit Bellmer teilt. Bellmer schafft eine neue Anatomie, indem er weibliche und männliche Körperfragmente neu zusammenfügt: bei seinen Puppen, aber auch in Zeichnung+Radierung. Zürn zerlegt Sätze buchstäblich und entwickelt daraus ihre Anagramme/Gedichte. Keine Ausgangszeile ist weit hergeholt, sondern sie mußte durchdrungen sein vom persönlichen Bezug zum Erleben der Autorin. Nur so konnte sich die Technik der Beschränkung, im Finden neuer Bedeutungen lohnen. 
In  Bellmers Körperanagrammen visualisiert sich ein entschieden polymorphes Begehren. 
Das Zeichnen ist für Unica Zürn “ein Schreiben ohne Worte mit träumender Hand“. Sie sieht darin auch eine Art Erholung von der konzentrierten, ja zwanghaften Arbeit an den Anagrammen. 

Friederike Beck gelingt es auch, die Bilderwelt des Wahns von Unica Zürn zu rekonstruieren, deutlich werden zu lassen, daß Anfang und Ende zusammenfällt, somit logisch gesehen: ohne Anfang und Ende ist. Als Unica Zürn mit 54 Jahren vor den Augen ihres Lebensgefährten Bellmer, durch einen Sturz vom Balkon der Wohnung in der rue de la Plaine, Paris am 19.Oktober 1970 ihr Leben beendet, realisiert sie vielleicht in der konsequentesten und radikalsten Form die Verbindung von Kunst und Leben: Kopfüber in einen Beginn, den sie in Dunkler Frühling beschrieb, wo sie, nachdem Sie das Foto eines Mannes aufißt, aus dem Fenster springt: hoffnungslose Liebe, hoffnungsloses Leben auch hier, hoffnungsvoll allein das Durchbrechen der Wiederholung: Reise ins Licht? 

                                                                               Doris Schöttler-Boll

Mit dem Film von Friederike Beck möchten wir auch versuchen, einen Raum zu eröffnen, für eine Weiterführung des Themas Kunst+Imagination mit den Beobachtungen, Forschungen, Überlegungen von Rike Felka aus Berlin zum Thema Desublimation bei Unica Zürn – am Freitag, den 7.September 2001. 

Friederike Beck
geboren 5.7.1964 in Augsburg, dramaturgische Assistentin/Theater Francesco Carnelutti Rom,  Studium der Germanistik,Geschichte und Medienwissenschaft an der TU Berlin, Regiestudium an der Hochschule für Fernsehen und Film München, Regiemeisterklasse bei Marcello Mastroianni und Theo Angelopoulos,Tel Aviv, lebt als Autorin und Regisseurin in Berlin, ledig, zwei Kinder. 
Les jeux à deux wurde auf nationalen und internationalen Filmfestivals gezeigt und für den Prix Europa 
nominiert. 
 
 
 
Gerhard Plumpe
Freud : Kunst und Imagination

XII. Veranstaltung der Reihe  Personen  Projekte  Perspektiven 
Freitag, den 13. Juli 2001, 20 Uhr 
Atelierhaus - Alte Schule - Äbtissinsteig 6, Essen – Steele 
 

Freud: Kunst und Imagination

Der Vortrag erläutert zunächst Freuds Methode der Lektüre und Deutung von verschiedenen Kunstwerken. Anschließend wird die Frage erörtert, ob diese Lektüren Freuds nur Rückschlüsse auf die psychischen Dispositionen der Künstler zulassen bzw. Einsichten in die Modalitäten (identifizierender) Kunstrezeptionen eröffnen oder ob sie darüber hinaus geeignet sind, kunsttheoretische Erkenntnisse über die Struktur der Werke selbst zu ermöglichen. Kurz gesagt: Liefert uns Freuds Lektüre der Kunst nur Einblicke in die Psychen ihrer Urheber oder Betrachter oder gibt sie einen Ansatz für eine spezifische Theorie der Kunst selbst? 

Gerhard Plumpe, Professor für Neuere deutsche Literaturwissenschaft an der Ruhr-Universität Bochum. Hauptarbeitsgebiete: Literaturtheorie, Geschichte der Ästhetik und der Medien; Literatur des 18.-20.Jahrhunderts. 
Wichtige Veröffentlichungen: Der tote Blick, München 1990; Ästhetische Kommunikation der Moderne. 2 Bde., Opladen 1993; Epochen moderner Literatur, Opladen 1995; Beobachtungen zur Literatur, Opladen 1995; Realismus und Gründerzeit, München 1997; Romantik und Ästhetizismus, Würzburg 1999.

 

 

 

 

 


 
 

  Doris Schöttler-Boll  Atelierhaus – Alte Schule – Äbtissinsteig 6  45276 Essen-Steele 
Tel.+Fax 0201/515592 E-mail Doris Schöttler-Boll@freenet.de
KUNSTRAUM - ALTE SCHULE - e.V.
Wir danken dem Kulturbüro und der Sparkasse Essen
für die freundliche Unterstützung dieser Veranstaltungsreihe

           
   21.- 26. Veranstaltung

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