Kunst – Liebe – Freiheit I 

In diesem  im Rahmen der Veranstaltungsreihe  Personen  Projekte  Perspektiven stattfindenden  Projekt  Kunst – Liebe – Freiheit I   mit dem Schwerpunkt Surrealismus (wobei es auch um dessen Bezug zur Romantik geht) finden  drei Veranstaltungen  statt:

Katharina Sykora, Kunstwissenschaftlerin und Professorin an der Hochschule für Bildende Kunst Braunschweig, eine große Surrealismus-Kennerin, wird am Beispiel von Germaine Dulac über die Film-Kunst der Surrealisten sprechen,
wobei die Beziehung Dulac-Artaud besonders fokussiert wird.

Bei Wolfgang Beilenhoff, Professor am Institut für Film- und Fernsehwissenschaft der Ruhr Universität Bochum, geht es um den dem Prager Surrealismus verbundenen Film.

Niels Werber schließlich, Literaturwissenschaftler / Gastprofessor in Innsbruck, der sich über „Liebe als Roman“ habilitierte, erzählt etwas zu Schlegels und Hölderlins Liebeskonzept und über die Auswirkungen in der zeitgenössischen Literatur, wobei uns vor allem Bezüge zum Konzept der amour fou in der Dichtung und in der Prosa André Bretons interessieren.

Viel spricht dafür, daß der Surrealismus immer noch aktuell ist, insofern er die Koinzidenz zweier Aktualitäten anerkennt: einmal  das Begehren, den Traum, das Unbewußte (die Imagination) und dann die Welt des Alltags, mit seinen Überraschungen, seiner Kontingenz, seinen objets trouvés...

Das Projekt  ‘Kunst – Liebe – Freiheit‘  war ursprünglich gedacht für die erste Jahreshälfte 2002, in Anknüpfung an das Projekt  ‘Kunst und Imagination‘.
Aus Termingründen wurde dann jedoch ein anderes Projekt, ‘Das Reale / Die Diskurse / Die Kunst‘ vorgezogen, das gleichsam dialogisch einen Gegenpol darstellte.
Es scheint, als ob nun das Surrealismus-Projekt, in die zweite Jahreshälfte verlegt, eine ganz gute ‚Klammer‘ hinsichtlich der beiden vorangegangenen Veranstaltungsblöcke bietet, indem hier sowohl die Imagination als auch das Reale erneut in den Blick kommen.
Darüber hinaus läßt es sich – ein glücklicher, beinahe surrealistischer Zufall - auf die ‘Surrealismus‘ betitelte Ausstellung beziehen, die in Fortsetzung der New Yorker bzw. Pariser Ausstellung ‘Surrealism: Desire unbound‘ demnächst in Düsseldorf zu sehen sein wird. 

                                                                    Doris Schöttler-Boll
 
 
  

[D. S. - B., Notizen zum Surrealismus (Text-Collage)

Der Surrealismus will entgrenzen, was gewaltsam voneinander getrennt wurde: Realität und Phantasie, Tat und Traum, Leben und Poesie, Bewußtsein und Unbewußtes, Subjekt und Objekt, Individuum und Gesellschaft, Natur und Geschichte. Er sucht nach jenen seltenen Augenblicken, in denen die Diskontinuität der Welt ausgehoben ist. Es sind dies die privilegierten Augenblicke der poetischen Inspiration, in denen sich das Subjekt als angrenzend an sich selbst und die Welt, ans Nichts und ans Unendliche erfährt. 

(So hat Michel Leiris in seinem Werk Le Miroir de la Tauromachie  die Koinzidenz der Gegenstände definiert) 

Und es war Rimbaud, der das erkenntnistheoretische Problem der Moderne formulierte: Ich ist ein Anderes und Es denkt in mir. Er hat als erster dem modernen Subjekt jene ex-zentrische Struktur verliehen, auf den dann der Surrealismus die Probe macht. Durch das zufällige Zusammentreffen des Entlegensten aber wird eine Begegnung jenes anderen oder Traum-Ich und der Welt allererst möglich. 

(Rita Bischof, Toyen – Das malerische Werk, Frankfurt a.M. 1987)
 
 

Das Sehen ist, wie Teige schreibt, eine ebenso komplexe Funktion wie das Denken; an beiden ist der ganze Mensch beteiligt. 
 

Ich begreife nicht warum, nicht wie ich lebe, noch warum ich noch lebe und erst recht nicht was ich lebe. Von dem Denksystem wie dem Surrealismus, das ich mir zu eigen gemacht und dem ich mich langsam anpasse, mag genug übrigbleiben, immer genug übrigbleiben, um mich damit zu Grabe zu tragen; und doch hat es mich nie zu dem machen können, was ich hätte sein wollen, bei allem Wohlwollen, das ich für mich aufbringe. Einem relativen Wohlwollen im Verhältnis zu dem, das man mir (oder nicht mir, ich weiß nicht) entgegenbringen konnte. Und dennoch, ich lebe, ich habe sogar entdeckt, daß ich gern lebe. Je mehr ich zuweilen Grund fand, mit dem Leben Schluß zu machen, um so mehr fand ich zu meiner Überraschung Grund, diese beliebige Diele im Fußboden zu bewundern: wirklich, schön wie Seide war sie, wie eine Seide, die schön wie Wasser ist. Diesen bewußten Schmerz liebte ich, als habe sich in diesem Augenblick die ganze universale Tragödie in mir abgespielt, als sei ich sie plötzlich wert gewesen. Doch liebte ich das beim Schimmer, ich möchte sagen neuer Dinge, wie ich sie bis dahin noch nie hatte erglänzen sehen. Daraus schließlich begriff ich, daß das Leben immer vorgegeben ist, daß  eine Kraft (die unabhängig ist von der des Ausdrucks und des geistigen Wollens) beim lebendigen Menschen in unschätzbaren Auswirkungen vorwaltet, deren Geheimnis er mit ins Grab nehmen wird. Mir selbst bleibt dieses Geheimnis unentdeckt, und daß ich es anerkenne, verändert in nichts meine erklärte Unfähigkeit zur religiösen Meditation. Ich glaube lediglich, daß es zwischen meinem Denken – so wie es sich aus dem von  mir Geschriebenen verstehen läßt – und mir, der vom eigentlichen Wesen meines Denkens zu etwas, was ich noch nicht weiß, verpflichtet wird: daß es zwischen diesem Denken und mir eine Welt gibt, eine unumkehrbare Welt von Phantasmen von realisierten Hypothesen, verlorenen Einsätzen und Trug, deren flüchtige Untersuchung mir schon davon abrät, an diesem Werk auch nur die geringsten Korrekturen vorzunehmen. Es braucht den ganzen Hochmut des wissenschaftlichen Intellekts dazu, das kindliche Bedürfnis nach Abstand, das die erbitterte Regulierung der Geschichte im Gefolge hat. Auch dieses Mal wieder und getreu meinem beharrlichen Willen, über jede Art von sentimentalem Hindernis hinwegzugehen, werde ich mich nicht aufhalten mit der Beurteilung meiner frühen Gefährten, die es mit der Angst bekommen haben und umgekehrt sind, werde ich nicht – vergeblich – darangehen, einige Namen zu ersetzen, damit das Buch als auf den neuesten Stand gebracht gelten kann. Ich erinnere einzig daran, daß die kostbaren Gaben des Geistes den Verlust auch des kleinsten Quentchens Ehre nicht vertragen; und ich werde weiterhin nur mein unzerstörbares Vertrauen in das Prinzip eines Handelns verkünden, welches mir wert scheint, daß man sich ihm weiht, freigebiger, absoluter, verrückter denn je – weil dies allein und auch dies nur in großen Abständen das verklärende Licht einer Gnade ausstrahlt, die ich nach wie vor und in jedem Falle der göttlichen Gnade entgegenstelle. 

André Breton Vorwort zur Neuauflage des Manifestes 1929 
 

                                                     siehe auch:     DÜSSELDORFER SURREALISMUS AUSSTELLUNG
 
 

Das in der Reihe  Personen   Projekte  Perspektiven an die zuletzt geführten Debatten anknüpfende Projekt trägt den Titel:

Kunst – Liebe – Freiheit II 

Doris Schöttler-Boll schreibt dazu:
„Von Breton und Bataille ausgehend, soll im 1. Halbjahr 2003 noch einmal, in der Reihe PERSONEN – PROJEKTE – PERSPEKTIVEN, das Thema ‚Kunst – Liebe – Freiheit‘ aufgegriffen werden. Bezugspunkte sind hier dieses Mal zwei für das künstlerische Schaffen und die Diskussion über die Rolle der Kunst in der Gesellschaft große Anreger der Debatte: André Breton, der in der Tat die diesbezüglichen Vermutungen Schlegels aufgriff und in der Liebe das Kraftreservoir der zur Normalität querstehenden Poesie, also – in seinem Verständnis –  der Revolte gegen alles Enthumanisierende sah; Georges Bataille, der mit seinem Postulat einer ‚Ökonomie der Verschwendung‘, der Verausgabung, der Gabe und Freigebigkeit bis zum Äußersten, einen (tatsächlich oder scheinbar) ganz anderen Eros-Begriff vertrat.“
Denkbar sei immerhin, schrieb ihr dazu der in Aachen lebende Literat Andreas Weiland:
„daß diese Positionen verwandter sind, als sie es zu sein scheinen. Und daß es eben die Kraft ist, die aus einer offenen und spontanen Haltung resultiert, welche wir die Liebe zum Alltäglichen nennen können, und zwar als immerwährende Möglichkeit der Entdeckung des Wunders, sei es in den Ölpfützen des Asphalts, oder in dem Lächeln eines Vorübergehenden in den Passagen, aus der dann die Fähigkeit zur Verausgabung, zur schöpferischen Produktion gewonnen wird, was nichts heißt als ein Geben und Teilen mit den Anderen, den Rezipienten, dem ‚Künstler‘ im Rezipienten, an das der Künstler und sein Werk sich wendet.
So wie der Surrealismus Anregungen empfangen hat von den Unangepaßten, zu den Verhältnissen ihrer Zeit Querstehenden unter den Romantikern, so hat er in seiner Offenheit für das Andere – die vorgeblich Verrückten, die Welt des Imaginären vorgeblich unzivilisierter Kontinente und Völker, die Welt des angeblich nur Trivialen der Straße und des alltäglichen Lebens – späteren Künstlern etwa der Pop Art (Jim Dine und Claes Oldenburg), aber auch den Autoren eines zum Teil im Indigenismus wurzelnden magischen Realismus (Asturias, Garcia Marquez) Impulse gegeben. 
Die Liebe, der Eros, waren dabei immer mehr und anderes als der von der Sucht nach Besitzergreifung getriebene Egoismus des von den Anderen abgeschotteten, gesellschaftlich vereinzelten, entfremdeten Individuums und sein kompensatorischer Reflex, die kommerzialisierte Sexualität der Werbe- und Warenwelt.
Sie meinten eher die Fähigkeit des Sich Einlassen Könnens, auf sehr tief liegende, authentische Bedürfnisse und Fähigkeiten: auf die Poesie, die Fähigkeit, Nein zu sagen zum Unrecht und Ja zur Schönheit, zum Lebendigen, zum überraschenden Augenblick.“

Es versteht sich von selbst, das ganz andere – gerade auch zu dieser Sicht querstehende Lesarten des Surrealismus und seiner Nachwirkungen bis heute - debattiert werden sollte...
 

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