DAS PROJEKT  "FILM/KUNST : WIRKLICHKEIT"
 

Film und Kunst, Film als Kunst und dessen Verhältnis zur Wirklichkeit (statt nur seine werkimmanente, ästhetische Seinsweise) wird in diesem Projekt der Veranstaltungsreihe  Personen  Projekte  Perspektiven  im Mittelpunkt des Interesses stehen.

Auch dieses Mal wird wieder an Schwerpunkte des Erkenntnisinteresses bisheriger Projekte angeknüpft.

Indem der Akzent auf den experimentellen Film ("film as art“, Film als Kunstform) gelegt wird, konfrontieren wir uns mit den je spezifischen Projekten von vier Schlüsselfiguren des modernen Films:

GODARD         DURAS          DEBORD       DEREN

Wir beginnen mit Deren und Godard.

Im Werk Maya Derens ist die Anknüpfung an unsere bisherige Auseinandersetzung mit der Hypothese kommunizierender Röhren zwischen dem Unbewußten, den Zufällen des Alltags, und der künstlerischen Produktion am offensichtlichsten.
Ihr filmisches Werk zehrt vom Traum, vom Unbewußten; gleichzeitig provoziert es die Frage, wie das Medium Film (die Sequenz der Bilder, ihr produzierter Rhythmus, die Film-Sprache) zwischen die Gefühle, den Traum, die Erfahrung von Trance, von Körperlichkeit (als ihren Sujets) und das Publikum tritt und welche Implikationen die spezifische Weise ihres Filmschaffens in der Folge auf die künstlerische Avantgarde (bis heute) hat.

Jean-Luc Godard gilt uns als ein anderer wichtiger Exponent einer Film-Kunst, die sich einer werkimmanenten Betrachtung verweigert und aus der polemischen, ironisch-bissigen Auseinandersetzung mit der Gegenwart, den vertrackten Widersprüchen der eigenen Zeit und des eigenen Ortes lebt. In einem seiner letzten Filme,  ‚Eloge de l’amour‘  spielen materialästhetische EXPLORATIONEN eine zentrale Rolle, die Differenz des Sichtbaren und der produktiven Möglichkeiten und Grenzen des Zelluloid-Films, des analog aufgenommenen und des digitalen Videos mithin.  Gleichzeitig figuriert, wieder einmal, die Utopie (und die Unmöglichkeit?) der Liebe in einer dem Warenfetisch unterworfenen Welt: zentrales Thema so vieler Künstler, nicht erst seit der Romantik und den Surrealisten, aber seit jenen auf eine neue, die Freudsche Revolution und die Einbindung des Gegenstands in die gesellschaftlichen Widersprüche nicht ausblendenden Weise.
Eloge de l’amour , hieß es bei ARTE in einem kurzen Text, werde „strukturiert durch Gegensätzlichkeiten, aus denen der Film seine innere Spannung bezieht“, indem er „Nähe und Ferne, Traum und Wachsein, Schweigen und Sprechen, Gegenwart und Geschichte, Landschaft und Architektur ... in Beziehung“ setze. Wie dies geschieht und was so an Einsichten, nicht nur in die Produktionsweise des Films, sondern auch in den Gegenstand der filmischen Reflexion gewonnen werden kann, darum soll es uns gehen...

Wir werden später auch noch einmal auf Duras sowie auf Debord zurückkommen, mit dem sich bereits Thomas Hecken unter dem Titel "KUNST / LEBEN / POLITIK: Interventionen der Situationisten". auseinandersetzte.
Guy Debords einem größeren Publikum weitgehend unbekannte filmische Arbeiten greifen die surrealistische Forderung nach einer Aufhebung der Trennung von Poesie und Alltag auf; sie revolutionieren und hinterfragen seit den 50er und 60er Jahren den Bezug von Kunst und Gesellschaft auf eine neue und radikale Weise; in ihrem gleichsam "dekonstruktivistischen“ Einbezug von Archivmaterial sind sie wegweisend für spätere Filmmacher, bis hin zu Farocki. Die Bedeutung des situationistischen Impulses für die Kunst jener Jahre, aber auch die weiterwirkende Sprengkraft des Ansatzes von Debord werden immer noch unterschätzt und nötigen, am Beispiel seiner Filme, zu einer kritischen Auseinandersetzung. 

Die Autorin Marguerite Duras, die letzte der vier Personen, deren Projekten wir uns stellen wollen, hat radikaler als je zuvor im Medium Film die Trennung von „Bild“ und „Stimmen“ vorangetrieben: sie setzt, mehr als alle anderen, im Bereich der kinematographischen Kunst, auf die Dominanz der Tonspur: der Worte, Geräusche, auch den Stellenwert der Musik, wo die Worte versagen...
Auch bei ihr geht es, vermittels des Films als Kunst, um ein "Hinkommen zum Alltäglichen“. Auch hier werden Eindrücke aus dem Alltag transformiert, denn – wie der Materialist Godard, den sie sehr schätzte -  einmal gesagt hat: „es kann sich nichts ausdrücken, wenn sich nichts eindrückte.“ Bei Duras (für die in ihren Arbeiten zugleich die Unmöglichkeit des sich erfüllenden Begehrens, der Liebe als Sujet zentral war) wird letztlich die Unmöglichkeit der eindeutigen Wahrnehmung ästhetisch wahrnehmbar, und in dieser uns auf den ersten Blick befremdenden,  ästhetischen Realisationsweise wird so auch ein Echo der sich entziehenden Wirklichkeit, eine flüchtige, fragliche Erinnerung des vergangenen Lebens, des  Alltags, werden seine Widersprüche, seine Schönheit, seine Momente des Verlustes oder des Schmerzes, neu und anders, mithin radikaler assoziiert.  Wenn es um etwas geht in den Filmen von Duras, dann ist es ihr immer neues Bemühen um ein Bewußtsein der Realität, der sie konfrontiert war. Zugleich aber erkennt sie darin das Scheitern, das Sich Entziehen, die Notwendigkeit der Zurücknahme, die Infragestellung all jener Annäherungen, wie sie in ihren Werken unternommen werden in immer neuen Anläufen, zu erinnern, was war und zu verstehen.

GODARDs Arbeit wird Rainer Vowe vorstellen.

Zu DEBORD erhoffen wir uns zu einem späteren Zeitpunkt einen Vortrag von Roberto Orth. Aber auch von Vincent Kaufmann, der an der Universität St. Gallen zu den Situationisten und vor allem Debord forscht.

Über das filmische Schaffen von DURAS würde Lars Henrik Gass (Leiter der Internationalen Kurzfilmtage Oberhausen) einiges sagen, der sich u.a. durch sein Buch 'Das ortlose Kino' als Kenner ihres Werks ausgewiesen hat. Es ist allerdings schwer, deutsch untertitelte Versionen jener Filme von Duras, die uns hier interessieren, zu bekommen. 

Mit MAYA DEREN konfrontiert uns Ute Holl, durch vielbeachtete Arbeiten bekannt gewordene Maya Deren Spezialistin.

Gleichzeitig setzen wir mit einer "langen Nacht der Poeten“ einen zweiten Akzent auf die neuere und neueste Poesie. [...]  Bei den Dichtern, die im Kontext der "langen Nacht der Poeten“ zu Wort kommen, soll es dieses Mal ganz besonders um den Bezug von Kunst und Alltag, also auch um  das Praxisfeld  Poetik-Workshops,  Lyrik-Zeitschriften, Verlagstätigkeit usw. gehen.[...]

Die Veranstaltungsreihe Personen-Projekte-Perspektiven, innerhalb der das jetzige Projekt KUNST/FILM:WIRKLICHKEIT verortet ist, zielt auf die Integration eines weiten Bereichs, im Sinne eines erweiterten Kunstbegriffs. Es geht um Bilder, Schrift, Sprache. 
Im Angesicht der Kunst stoßen wir dabei  immer wieder auch auf die Notwendigkeit, zu sensibilisieren für gesellschaftliche, aber auch ganz existentielle Fragestellungen, ob es nun um die Lebensbedingungen, um die sich herausbildenden Lebensformen (bis hin zu einem „neuen Nomadentum“),  um die vorherrschende Liebesordnung  oder auch darum geht, daß wir zum Tod hin leben (die Unverhältnismäßigkeit also, die zwischen der Reichweite der Sehnsüchte des Menschen und den individuellen Grenzen seines Lebens besteht). Daß dergleichen gerade auch in der Kunst immer wieder virulent ist, oft für sie eine entscheidende Triebkraft bildet, ist nicht zu übersehen...
 
 


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