„Die eigene Rede des andern“
 Hölderlins Poetik des Fremden
 

Vortrag von Hansjörg Bay
 
 
 
 

Zu der vierzigstenVeranstaltung der Reihe
Personen Projekte Perspektiven
Freitag, den 2.Dezember 2005 um 20 Uhr
laden wir Sie und Ihre Freunde herzlich ein
 
 
 
 
 

Atelierhaus
Alte Schule
Äbtissinsteig 6
Essen-Steele





„Die eigene Rede des andern“
  Hölderlins Poetik des Fremden 

Die Frage nach dem Umgang mit kultureller Alterität spielt für Hölderlins poetologische und ‚kulturrevolutionäre’ Überlegungen eine herausragende Rolle. Die in den Briefen an Böhlendorff erhobene Forderung, “wahrhaft das fremde sich anzueignen” bestimmt nicht nur sein literarisches Selbstverständnis seit dem Aufbruch nach Frankreich im Winter 1801/02, sondern charakterisiert zunehmend auch sein Projekt einer “Revolution der Gesinnungen und Vorstellungsarten”, das auf eine künftige, utopische Gestalt von Kultur und Gesellschaft zielt. Als das Andere, Fremde fungiert dabei in erster Linie die griechische Antike, deren orientalisches Moment Hölderlin betont und die als Gegenbild zum zeitgenössischen Deutschland in eine komplexe Konstellation mit dem revolutionären Frankreich tritt. Ihre ‚wahrhafte Aneignung’ meint weder Assimilation des Fremden ans Eigene noch einfach nur ‘Bereicherung’ des Eigenen durchs Fremde; vielmehr geht es um die schwierige und auch paradoxe Figur einer Art chiastischen Verschränkung des Entgegengesetzten.
Ausgehend vor allem von Hölderlins Donaugedichten und seinen Briefen an Böhlendorff soll die auf dieser Figur basierende Poetik des Fremden und das ihr korrespondierende kulturrevolutionäre Projekt als Alternative zur dialektischen Konstruktion der Geschichte im deutschen Idealismus begriffen werden - und zwar als eine Alternative, die einen anderen, auf die aktuelle Theoriediskussion vorausdeutenden Umgang mit kultureller Identität und Differenz impliziert. Da die allgemeine Tendenz zur Verzeitlichung, die im 18. Jahrhundert die Ordnung der Dinge und in der idealistischen Geschichtsphilosophie die Ordnung der Kulturen ergreift, zu einer Relativierung von Fremdheit führt, verdient Hölderlins gegenläufige Akzentuierung räumlicher Verhältnisse besondere Aufmerksamkeit.
 

Dr. phil. Hansjörg Bay
Studium der Germanistik, Philosophie und Politikwissen-schaft in Freiburg und Seattle; 2002 Promotion an der Universität Freiburg; 2002-04 Postdoktorand am Gießener Graduiertenkolleg ‚Klassizismus und Romantik’; seit 2005 wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Erfurt; Habilitationsprojekt zu Poetologien des Fremden im 20. Jh.
Veröffentlichungen u.a.: Odradeks Lachen. Fremdheit bei Kafka (Mhg.), Freiburg: Rombach 2005 (im Erscheinen); Die Ordnung der Kulturen. Zur Konstruktion ethnischer, nationaler und zivilisatorischer Differenzen in Europa 1750-1850 (Mhg.), Würzburg: Königshausen und Neumann 2005 (im Erscheinen); ‚Ohne Rückkehr’. Utopische Intention und poetischer Prozeß in Hölderlins ‚Hyperion’, München: Fink 2003; ‚Hyperion’ - terra incognita. Expeditionen in Hölderlins Roman (Hg.), Opladen: Westdeutscher Verlag 1998; Ideologie nach ihrem ‚Ende’. Gesellschaftskritik zwischen Marxismus und Postmoderne (Mhg.), Opladen: Westdeutscher Verlag 1995; Aufsätze u.a. zu Hölderlin, Kleist, Kafka und zur Gegenwartsliteratur; zu Fremdheit und kultureller Differenz und zu literatur- und kulturtheoretischen Fragen.
 
 

Doris Schöttler-Boll   Atelierhaus – Alte Schule – Äbtissinsteig 6  45276 Essen-Steele
Tel.+Fax  0201/515592   E-Mail Doris.Schoettler-Boll@freenet.de
KUNSTRAUM – ALTE SCHULE – e.V.
Wir danken dem Kulturbüro der Stadt Essen und den Freunden des Atelierhauses
für die freundliche Unterstützung dieser Veranstaltungsreihe